Gunter Hampel

(Text f. Jazzthetik 9.07)

Kommerzielle Musik nimmt nicht nur dein Geld, sondern auch deine Inspiration.

Seit 50 Jahren ist der Göttinger Multiinstrumentalist Gunter Hampel als Verfechter des freien Jazz unterwegs. Die internationale Kritik liebt ihn dafür. In Deutschland ist man nachtragend, wanderte er doch in den späten Sechzigern ins Mekka des Jazz, nach New York. Vielleicht als späte Wiedergutmachung, aber definitiv als Anerkennung für sein Lebenswerk, seinen kraftvollen eigenen Stil, erhält er beim diesjährigen JazzFest Berlin den Albert Mangelsdorff Preis. Zuvor feiert der Freigeist Gunter Hampel am 31. August seinen Siebzigsten Geburtstag.

Inzwischen verbringt Gunter Hampel viel Zeit in Berlin, dort im Ostteil der Stadt hat er ein Zimmer in der Wohngemeinschaft seines Saxophonisten Johannes Schleiermacher. Denn in Berlin ist er nah an der jungen Jazzszene und vom Airport Tegel geht immer ein Flieger in seine zweite Heimat New York. Zwischen fertigen und im entstehen befindlichen Bildern, Hampel malt auch, sitzen wir an einem kleinen Tisch und unterhalten uns – so zur Einstimmung – erst einmal über mein digitales Aufnahmegerät. Hampel gefällt der kompakte Apparat, sucht er doch gerade einen modernen portablen Recorder. Schnell landen wir dabei beim Du, sind dem Vibraphonisten und Bläser doch alle Konventionen ein Greuel.

Olaf Maikopf: Wie bist du überhaupt zur Musik gekommen?

Gunter Hampel: Ich komme aus einem Elternhaus, wo der Vater phantastischer Pianist und Violinist war, aber von seiner Familie angehalten wurde Dachdecker zu werden, weil das ein ordentlicher Beruf ist und nicht so ein Hungerleiderjob wie der eines Musikers. Wenn mein Vater Klavier gespielt hat, dann bin ich als kleines Kind immer dabei gewesen und wenn er weg war, dann war ich am Klavier. Also, es ging ganz schön früh los. Das liegt bei uns in der Familie, mein Großvater war auch Komponist und Musiker, hat Bands gehabt. Soweit ich mich zurückerinnern kann, war der Wunsch Musik zu machen von Anfang an da. Es gibt Menschen, die werden so geboren.
Mein Vater spielte viel klassische Musik, aber auch Volkslieder, und wenn er etwas hörte, konnte er es sofort nachspielen und die Leute tanzten dazu. Selbst wenn schlechtes Wetter war, dann schien durch sein Klavierspiel die Sonne. Ich rede jetzt von 1940, 41, 42. Ich bin 1937 geboren, da gab es noch kein Radio oder Fernsehen, was immer die richtige Musik lieferte. Mein Vater war in unserer Gegend einer der ersten, der einen Plattenspieler hatte. Aber Jazz gab es nicht, der war ja verboten. Allerdings traf ich später Leute, die mir erzählten, wie sie während des Krieges im Schützengraben Duke Ellington Platten gehört haben. Da fällt mir eine ganz verrückte Geschichte ein: Als die Deutschen nach Holland gingen, lud Hitler Jazzmusiker ein, um sich über Jazz zu informieren. Wochen später erschienen in deutschen Zeitungen Fotos mit den Händen von Benny Goodman und darunter stand der Text: „Das sind die weißen Judenhände, die den Schwarzen ihre Musik stehlen und damit viel Geld verdienen.“ Diesen Vorwurf bekam ich später in Amerika auch oft von Leuten, die nicht wußten was ich eigentlich mache. Mein Erfolg dort kam dann, als erkannt wurde, dass ich meine eigene Musik spiele, da umarmten mich die Schwarzen.

Olaf Maikopf: Aber erst einmal studiertest du Architektur und spieltest nebenbei Klarinette in Amateurbands. Von Dixie über Swing bis Bebop war alles dabei, eben die Standards des Jazz. 1958 kam der Entschluss Profimusiker zu werden. Die ersten Jahre hast du mit deiner Gruppe in allen damaligen deutschen Jazzclubs gespielt, in der Berliner Eierschale, im Hamburger Barrett, der Tarantel in München, im Lübecker Riverboat. Sicher eine wichtige Zeit um Erfahrung zu bekommen, Kontakte aufzunehmen.

Gunter Hampel: Da lernte man auch die großen Namen kennen. Dizzy Gillespie, Gerry Mulligan, Ed Thigben, Eric Dolphy und sogar Coltrane kamen nach ihren Konzerten in unsere Clubs, und stiegen dann oft bei uns ein. So bekamen wir eine Reife, ich entwickelte mich zu jemandem, der zwar die ganzen Standards spielen konnte, damit aber immer unzufriedener wurde. Als es dann auch noch mit den Jazzclubs in Deutschland bergab ging, sie zu Diskos wurden, entwickelten wir neue, freiere Konzepte. Das war ein ganz normaler kreativer Vorgang, wenn man seine Persönlichkeit entdeckt, das eigene Potenzial angeht und daraus eine eigene Musik entwickelt. Wenn du in der Lage bist, deine Gefühlswelt und Gedanken umzusetzen, dann entwirfst du auch eine individuelle Sprache.

Olaf Maikopf: Gleich dein erstes Album „Heartplants“, veröffentlicht 1964 auf MPS, war eine kleine Sensation. Hier formuliertest du mit Manfred Schoof, Alexander von Schlippenbach, Buschi Niebergall und Pierre Courbois so etwas wie das Manifest des deutschen Free Jazz.

Gunter Hampel: Ich war wirklich der Erste der aufhörte die amerikanischen Vorbilder zu kopieren, das schrieb auch der Spiegel damals. Aber ich mach mal einen Sprung in die späten Sechziger. Nach einigem Nerv mit MPS, die wollten eine Fortsetzung von „Heartplants“, uns vorschreiben was wir spielen sollen, aber keine Entwicklung, ging ich nach Amsterdam und Antwerpen. Dort hatte ich u.a. die Band Time Is Now mit dem Gitarristen John McLaughlin und eine Gruppe mit Willem Breuker. 1969 flog ich dann nach New York und bildete mit meiner Frau Jeanne Lee, Anthony Braxton, Willem Breuker, Arin Gorther und Steve McCall das Projekt „The 8th Of July“. So hieß dann auch meine erste amerikanische Platte. McCall war ja aus Chicago und Mitbegünder von AACM. Plötzlich fingen die Leute an, unser europäisches musikalisches Gut zu verarbeiten. Die improvisierte amerikanische Jazzmusik vermischte sich mit Europa. Ich stieg in die zeitgenössische europäische Musik ein, Leute wie Schönberg, Webern usw.. Die hatten sich die Gleichberechtigung der Töne ans Zepter geschrieben. Wir in der freien Musik die Gleichberechtigung der Partnernschaften. Bei uns gab es keine Bläser mehr, die von einer Rhythmusgruppe begleitet wurden. Der Schlagzeuger wurde melodisch genauso wichtig, wie der Saxophonist perkussiv wichtig wurde. Wir haben die Rollen in den Bands neu verteilt. Vor allem ich habe ganz neue Konzepte entwickelt, wie Instrumente eingesetzt werden in der Musik und wie sich Musiker einsetzen können. Wir haben wirklich neue Freiräume geschaffen.
Die Jazzmusiker haben bis in die Vierziger Jahre eigene Stücke gespielt. Zum Broterwerb spielten sie dann auf der 52nd Street in den Musicalbands die zu der Zeit bekannten Songs, die dann zu Standards wurden. Jeder in den Staaten kennt diese Lieder. Ich hab mit den Archie Shepp Allstars im Sweet Basil gespielt und irgendwann sang er mit meiner Frau Backstage irgend so eine alte Musicalnummer die sie aus ihrer Jugend kannten, weil sie sich vielleicht bei so einem Lied in jemanden verliebt hatten. Aber der Grund warum diese Standards heute wieder gespielt werden hat ja einen ganz anderen Grund. Unser Gesellschaft ist ja nicht mehr auf Gefühle aus, es geht ja nur noch um Geld und Macht. Und diese Machtbesetzung der Jazzszene durch die Standards rührt daher, dass die Erben dieser Kompositionsrechte von Gershwin und Cole Porter so dick im Geschäft sind, dass sie die ganze Jazzwelt beeinflussen und die Plattenproduzenten dazu bringen, ihre Stücke immer und immer wieder neu aufzunehmen. Somit werden diese ganzen Musikergenerationen immer wieder dazu genötigt, diese Standards zu spielen. Aber natürlich sind sie auch ein Stück Jazzgeschichte.
Und seit dem verlorenen Krieg sind wir die Untertanen der Amerikaner, sie bestimmen was wir denken, was wir essen, welche Musik wir hören sollen, wie wir uns politisch ausrichten, saugen unser Geld ab, sodass wir in dieser kulturellen Armut jetzt leben und es nur noch Hollywood gibt.
Aber das machen die Amerikaner ja in der ganzen Welt. Wir dürfen nicht mehr denken, sollen nur noch Befehle empfangen. Darum ist das völlig idiotisch, dass die deutschen Jazzmusiker heute Lieder spielen aus Musicals, anstatt aus diesem kreativen Schub den wir in den Sechzigern hatten eine eigenständige Kultur aufzubauen. Aber ich bin tolerant, ich sage, wenn jemand das gut findet, dann soll er es machen. Wenn jemand nicht den Durchblick hat wie ich ihn habe, muß ich ihm sogar verzeihen das er es tut. Wir haben damals davon geträumt, dass es Hochschulen gibt, wo man diese Musik unterrichten kann. Wir hatten Vorstellungen wie wir die Musiker an ihr eigenes Potential heranführen können. Aber was dann letztendlich daraus geworden ist – unsere Vision ist da völlig verschwunden. Ich will aber nicht nur Negatives darüber sagen. Die Jazzmusik überlebt in den Hochschulen und nicht mehr in den Jazzlokalen wo wir Musiker uns treffen konnten, Sessions spielen, neue Dinge ausprobieren. Jetzt werden in den Hochschulen die ganzen Jazzstile gelehrt. Ich habe ja jetzt lauter junge Musiker. Der Johannes Schleiermann traf ich als er gerade mal Siebzehn war, mir viel sofort sein unglaubliches Talent auf. Als sein Vater dann hörte, dass er mit dem Gunter Hampel spielt, sagte er, es wäre ihm lieber, er würde noch mal auf die Hochschule gehen. Das befürworte ich sehr, denn ihnen fehlt oft noch der Kick, der aus dem Swing oder dem Bebop kam. Die haben alle angefangen mit der Fusionmusik und wenn sie an den Hochschulen von Grund auf die Prinzipien der Jazzmusik kennenlernen, dann haben sie für ihre heutige Musik einen ganz anderen Background der Möglichkeiten zur Verfügung. Mit denen man ja, auch in der freien Musik, seine Musik gestaltet.

Olaf Maikopf: In den USA begann dann auch deine langjährige Kooperation mit Marion Brown.

Gunter Hampel: Der Marion Brown ist ja einer der Leute die auf der „Ascencion“ Platte von Coltrane mitgespielt haben. Als ich dann mit Marion unterwegs war, da war ich plötzlich der Deutsche in einer schwarzen Band. Als wir in Paris gespielt haben, kamen die Black Panther und sagten zu ihm: „Schmeiß doch diesen Whitie raus, wir haben doch auch schwarze Vibraphonisten“. Da sagte Marion nur, dass ich spielen kann und darum in seiner Band bin. Ob Weißer oder Schwarzer das ist egal, hauptsache man behält seine Identität. Und tut nicht so wie Joe Zawinul, als sei man plötzlich ein Schwarzer. Natürlich habe ich meine Persönlichkeit fortgebildet, aber auch immer das Bewußtsein gehabt, ich bin hier aus Deutschland, ich bin auch jemand, ich brauch mich nicht zu verstecken. In New York habe ich mir so von Anfang an einen Namen gemacht. Charles Mingus ist gekommen und mir auf die Schulter geklopft. Ich habe mich weiter entwickelt und nicht wie viele meiner Kollegen, die heute noch die Musik spielen, die sie vor 40 Jahren gemacht haben.
Marion und ich haben nicht nur über 25 Jahre gemeinsam Musik gemacht, sondern auch unendlich viele Gespräche geführt, die mit zu den schönsten und tiefsten gehören, die ich in meinem Leben jemals mit Menschen gehabt habe. Das heißt, wir sind die dicksten Freunde. Aus diesem Gefühl füreinander zu spielen, miteinander etwas zu machen, wächst eben solche klasse Musik wie ich sie mit Marion gemacht habe. Wir sind beide Sternzeichen Jungfrau, was in der Jazzmusik ein ziemlich heaviges Sternzeichen ist, Charly Parker, Sonny Rollins, Lester Young alle sind Virgos. Das heißt, wir sind Menschen die führen und gestalten können. Und je länger man zusammen spielt wächst man aus sich heraus und gemeinsam in etwas hinein. Plötzlich macht man Dinge, die so nur in dieser Konstellation entstehen können. Leider sitzt Marion heute in einem Sanatorium und kann keine Musik mehr machen, sonst würden wir immer noch gemeinsam aktiv sein.

Olaf Maikopf: „8th of July“ erschien in Europa auf deinem eigenen Label Birth, in den USA bei Flying Dutchman, der Firma des einstigen Impulse-Produzenten Bob Thiele.

Gunter Hampel: Ich mochte seine Arbeit für Impulse und ging darum in sein Büro. Da saß er dann ganz amerikanisch im Anzug und mit den Füßen auf dem Tisch. An der Wand hing sein Diplom als Klarinettist. Er war sehr freundlich, nahm meine zwei ersten Birth-Platten mit nach Hause und rief mich am nächsten Morgen begeistert an. Sie erschienen dann auf Flying Dutchman. Aber der Vertrieb konnte damit nichts anfangen und so waren die Verkäufe eher mässig. Gut war allerdings, dass Thiele sie großzügig bemusterte und so wurde ich von allen möglichen Radiostationen gespielt. Plötzlich war ich in den Staaten bekannt, als der Europäer der die Jazzmusik erneuert und andere Maßstäbe setzt wie man zusammen spielen kann. Die Schwarzen Musiker sagten, dass ich bewiesen habe, dass schwarze und europäische freie Musiker zusammen spielen können. Da war plötzlich eine Brücke, auf der die ganzen zukünftigen Beziehungen der Musik stattfanden.

Olaf Maikopf: Seit vielen Jahren ist dir auch die Arbeit mit jungen Leuten und Kindern ein Anliegen.

Gunter Hampel: Die Jazzwelt hat vergessen sich um den Nachwuchs zu kümmern. Ich bin einer der wenigen, der junge unbekannte Musiker in seine Bands aufnimmt und die dann langsam zu wichtigen Stimmen in der Szene werden. Als Bandleader bin ich so wie der Art Blakey. Nach einiger Zeit braucht man wieder junge frische Leute, denn die anderen werden selbständig, werden Persönlichkeiten und wollen dann irgendwann ihren eigenen Kram machen. Auf den Hochschulen haben sie ihr Handwerk erlernt, haben die Arrangements von Basie und Co. punktgenau studiert. Bei mir gibt es dann lediglich nicht auskomponierte Grundarrangements. Da lernen die jungen Musiker zu improvisieren, frei mit Material umzugehen. Das finden die immer phantastisch.
Mein Konzept ist die Spontanität, ist die Urspünglichkeit, wie bei der Liebe. Es ist der Einsatz von all dem was du draufhast. Und wenn ich Musiker habe, die auch ihr letztes geben, dann brauch ich kein Konzept, sondern dann muss ich nur geschickt und gut als Bandleader, so wie Duke Ellington, die Leute einsetzen, muss ihr Talent kennen und ihnen Kicks geben etwas zu spielen, was sie zuvor noch nicht gespielt haben. Wenn du diese Fähigkeit hast ein Leader zu sein, entschuldige wenn ich das in unserer Demokratie so sage, dann kannst du Kreativität und Spaß bei deinen Mitspielern wecken. Ich habe heute noch, nach 50 Jahren auf der Konzertbühne, Spaß dabei, habe Lampenfieber. Mit dem Cecil Taylor hatte ich mal ein Gespräch und da sagten wir, dass wir jedes Konzert so spielen, als sei es unser letztes.
Zur Zeit ist es mein großer Wunsch, hier wieder eine neue kreative Jazzszene einzurichten. Nicht die alte wieder aufleben zu lassen, die ist vorbei. Die Generation der Jazzhörer ist weg.
Ich bin zehn Jahre mit der Jazzkantine, das war so eine HipHop Organisation, als Jazzmusiker unterwegs gewesen. Ich hab keinen HipHop gespielt, sondern immer freie Improvisationen.
Dadurch habe ich auch ein junges Publikum im Gegensatz zu den anderen alten deutschen Jazzern. Mein Wissen nutze ich inzwischen dazu, jungen Menschen die Schönheit der Jazzmusik nahe zu bringen, sie zu unterstützen ihre eigene Kreativität und Spaß am Ausdruck zu finden.

Das macht Gunter Hampel zum Beispiel mit seiner Music And Dance Company. Die geht in Schulen, gibt Workshops, in denen Kinder und Jugendliche über den Link Breakdance Bekanntschaft mit Jazz machen.

  1. olaf, setze bitte das datum zuum interview das muss ja auch schon wieder ein paar jahre her sein

    beste grgunter

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