Jun Miyake – Gefühl und Instinkt statt Konzept

(Text f. Jazzthetik 10.08)

Melancholische, kunstvolle Musik voller raffinierter Schönheit, dabei aber nie aufgeblasen oder gar überladen. Mit „Stolen From Strangers“ entführt der Trompeter in eine neue Realität.

Wie kaum ein anderer spielt Jun Miyake in seiner Musik feinsinnig mit Klischees, um diese oft als unerwartet groteskes, allerdings nie abstossendes, ironisches Zerrbild zu sanieren.
Nach der auch bei uns umjubelten „Innocent Bossa In The Mirror“ war einige Jahre nichts von dem Japaner zu hören. Das hatte klare Gründe. „Die große Entfernung, das häufige Reisen zwischen Tokio und Paris nahm mir viel Energie und Zeit. Ich musste in Paris einen guten Platz zum Leben finden, die Wohnung einrichten, dann baute ich mir ein Studio auf, musste dafür neues Equipment anschaffen, mich auch noch um ein dauerhaftes Visa kümmern. Fast parallel hatte ich Jobs für Commercials in Tokio zu erledigen, dafür richtete ich mir dort ein zweites Studio ein. Du kannst dir sicherlich vorstellen wie aufreibend das sein kann. Dann stoppte auch noch mein ehemaliges japanisches Label Beams alle Aktivitäten. Als Konsequenz gründete ich mein eigenes Label Video Arts und ausserdem war ich in all der Zeit noch mit diversen Soundtracks beschäftigt. Diese veränderte Situation der häufigen Ortswechsel, mal in Tokio mal in Paris, mal dazwischen, gab mir die wunderbare Möglichkeit mich selbst aus der Distanz zu betrachten. Das kann sehr poetisch sein. Vielleicht ist mein Leben ja dazu da, herauszufinden wo dieses Gefühl des Fremdseins herkommt. Tatsächlich fühle ich mich nirgends heimisch, aber es ist recht komfortabel in Paris zu leben. Übrigens arbeitete ich währenddessen immer mal wieder auch an „Stolen From Strangers“. Doch letztlich dauerte es dann doch fünf Jahre bis das Album fertig war“, erzählt der nach so vielen erledigten Aktionen inzwischen wieder sichtlich entspannte, dabei trotzdem auf äusserst korrekten Ausdruck bedachte und kontrollierte Jun Miyake.

Verschwiegen hat Miyake, dass er 2003 als Co-Kurator des Berliner Jazzfestes aktiv war, selbst auch dort auftrat. Sich selbst sieht er, trotz einer Ausbildung am Berklee College Of Music und einiger Erfahrung als Jazztrompeter, mittlerweile eher vom Jazz entfernt. „Früher hat mich Jazz elektrisiert, ich war besessen davon, wollte unbedingt dazu gehören und ein japanischer Miles sein. Also ging ich in die USA, studierte dort, spielte auch mit beispielsweise Steve Grossman und nahm Platten mit Al Foster und Ron Carter auf. Jazz war fast meine Religion. Ich mag ihn zwar immer noch, höre ihn aber weniger. Wenn, dann Sachen aus den 50er und 60er Jahren.“

Lieber öffnete sich Miyake in den Neunzigern einem sehr erweiterten Musikgeschmack. „Nach und nach verschmolzen für mich die ganzen Musiken zu einer Einheit, alles ebnete sich. Hier mag der Ursprung meines Weges der Kombination liegen, der gleichberechtigten Verbindung verschiedenster Arten von Musik. Mit dem Ziel, das soll nicht arrogant klingen, ein neues Ganzes zu schaffen, eine Musik, die dem Jazz verwandt ist, ihm einen zeitgenössischen, vielleicht globalen Ausdruck verschafft.“

Ein Schritt dahin mag auch in Miyakes damals beginnende Arbeit als Komponist für Werbemusik zu sehen sein. Dort kann man es sich nicht leisten, mit limitierter Kreativität zu arbeiten. „Ich bin kein Komponist platter Jingle-Musik. Zwischen meiner Arbeit als Künstler und Schreiber von Filmmusik gibt es keinerlei Trennung, dafür ist mein Anspruch zu hoch. Ich muss sogar sagen, dass mich bewegte Bilder animieren möglichst aufregende Musik dazu zu schreiben. Mir ist wichtig, dass sie funktional ist, aber immer auch viel von mir enthält. Diese Arbeit war eine Gelegenheit mich in Stilvielfalt zu üben, manches auszuprobieren.“ Bei seinen eigenen Projekten begann er Genrebegriffe wie Chanson, Bossa Nova, Tango oder Klassik zu imitieren, um sie schließlich durch den Fleischwolf gedreht und pikant gewürzt, als neue Kreation in ungeahnte Qualität zu verwandeln. Diese Verschmelzung, dazu noch 50er Jahre Exotika und asiatische Vokabeln, gelang ihm zur Jahrtausendwende am überzeugendsten in der Trilogie „Mondo Exotica“, „Glam Exotica“ und „Innocent Bossa In The Mirror“. Einige Jahre später, in Europa gelandet, könnte die neue CD „Stolen From Stangers“ als Miyakes Assimilierung gehört werden. „Da ich nun hier lebe, wird sich das wohl auch in meiner Musik reflektieren, denn ich folge meinen natürlichen Instinkten und Einflüssen. Aber geplant habe ich kein „europäisches“ Album. Tatsächlich schrieb ich acht der zwölf Titel bevor ich nach Paris zog. Mit Konzepten zu arbeiten, ist nicht mein Ding. Viel lieber achte ich auf meine Gefühle, denn Musik klingelt immer in meinem Kopf. Meine Arbeit ist es dann, diesen Sound aus meinem Körper zu lassen, so pur wie möglich.“

Aber ganz so einfach macht es sich Miyake dann doch nicht. Immer holt er die für seine Ideen passenden Musiker und Sänger dazu, greift dabei gern auf vertraute Freunde zurück die ähnlich denken und fühlen. „Ich kenne eine Menge großartiger Sänger und Musiker die mich inspirieren. Bin ich dann sicher darüber, wen ich bei den Songs gern dabei hätte, und diese einverstanden sind, dann geht die Produktion eines Tracks meist sehr schnell. Wenn es ideal läuft, übernehmen die Beteiligten dabei sinnbildlich meinen Körper, imaginieren die Melodie durch ihre Stimme.“ Für das neue Album lud Miyake ausser Musiker wie den tunesischen Oud-Virtuosen Dhafer Youssef, das japanische Rhythmusduo Hitoshi Watanabe und Hideo Yamaki (früher Schlagzeuger bei Toshinori Kondo) oder den schweizer Pianist Peter Scherer, auch das komplette Bulgarian Symphony Orchestra inklusive Chor und SängerInnen wie den Franzosen Arthur H., die Amerikanerin Lisa Papineau, Weltmusik-Spezialist Remy Kolpa Kopoul aus Paris und den Japaner Satoshi Murakawa in die Studios von Paris, Sofia, New York und Tokio. „Speziell Lisa ist eine wahre Entdeckung für mich. Mein Verleger stellte mir ihre CD „Night Moves“ vor, ein wunderschönes zartes Album und eine unglaubliche Stimme, die von sanft gehauchten Tönen bis erschütternden Schreien ein weites Spektrum aufweist. Lisa ist großartig. Sofort verliebte ich mich in ihre Stimme. Fast gleichzeitig hörte sie auch meine Musik, die sie ebenfalls von meinem Verleger bekommen hatte, und sagte mir anschließend, dass ihr die Musik sehr vertraut, sehr nah war. Die Aufnahmesession wurde dann ein sehr schönes Zusammentreffen“, erzählt Miyake mit leicht geröteten Wangen. Eine Reaktion, die verständlich scheint, wenn man sich einmal ausschließlich die drei Songs anhört, an denen Lisa Papineau beteiligt ist – sie sind warm, fast lieblich, wecken Neugierde auf mehr.

Vielleicht ist es die Diskrepanz zwischen Gefühl und Beherrschung die Miyake in gewisser Weise auch ruhelos sein lässt, um Musik zu schaffen, die sich als ein Hybrid vieler Kulturen und Stile zeigt – dabei aber ungemein eigen ist. Mit einem Augenzwinkern tituliert er dies als „Stolen From Strangers“. Denn ästhetische oder kulturelle Grenzen stoppen ihn hier nicht, er forschte so lange in den Soundwelten, bis er seinen idealen Ausdruck extrahiert hatte. Partner im Geiste und bei dieser Produktion fand er erneut im New Yorker Arto Lindsay und dem Brasilianer Vinicius Cantuaria. Mit ihnen verbindet Miyake die Liebe zur Bossa Nova und dem Jazz. „Es sind fantastische Künstler. Ich liebe ihren Sinn für Schönheit. Und ja, wir sind Freunde, Freunde durch die Musik. Speziell Arto inspiriert mich außerordentlich mit seinem Sinn für Ästhetik. Schon länger haben wir vor, ein Album nur mit unserer gemeinsamen Musik zu machen, doch bisher konnten wir keinen Termin dafür finden. Bei meinem neuen Album hatten wir nicht leider auch nicht so viel Zeit für Kommunikation wie zuvor bei „Innocent Bossa“. Dafür schickten wir oft Emails und Demos hin und her, das klappte dann ziemlich gut.“

Diese Form des Austausches, der Zusammenarbeit, ist in der heutigen globalisierten Welt ja beinahe alltäglich. Musiker aus weit entfernten Ecken der Erde produzieren gemeinsame Tracks, indem sie ihre Entwürfe auf elektronischem Weg hin und her schicken bis das Ergebnis stimmt. Im Fall von Jun Miyake hat globalistisches Denken noch weitere Beweggründe. „Ja, mir liegt viel an Sprachen, an Kommunikation, am Klang verschiedener Sprachen wie Portugiesisch, Französich, Japanisch oder Englisch. Ich höre auch sehr gern Musik mit fremden Sprachen. Für „Strangers“ fragte ich Arto, ob er für die erste und zweite Melodie portugiesische Texte und für den vierten Song einen englischen Text schreiben könnte. So machte ich es auch mit Lisa und den anderen Textern bzw. Sängern. Das hat auch den Vorteil, dass ich mich bei diesen Songs nicht auch noch mit der Titelfindung beschäftigen muss, so etwas dauert bei mir viel länger als einen Song zu komponieren.“

Die dadurch gewonnene Zeit nutzt Miyake lieber für Reisen, um mal in London mit Hal Willner und Grace Jones, in Kopenhagen mit Theatermann Robert Wilson, in Wuppertal mit Choreografin Pina Bausch zu arbeiten oder ganz aktuell am 30. Oktober in Los Angeles ein Konzert mit David Byrne zu spielen. „Das alles macht mir riesigen Spaß, ich liebe es. Doch anderseits bin ich immer auch auf der Suche nach einem Double, was, wenn schon nicht an meiner Stelle Dinge für mich erledigt, dann aber bestimmte Teile meiner Gefühle äußern, oder Teile meiner Gefühlswellen übernehmen kann.“ Mit der Trompete, seinem eigentlichen Instrument, drückt Miyake inzwischen eher verhalten Stimmungen aus – nur wenn es die Musik erfordert. Und die ist auf dem neuen Album vielfältiger als je zuvor. Ein berauschendes Ohrenkino aus Bossa-Fake, Musette, Zigeuner-Polka, kribbeliger Elektronik, etwas Jazz und symphonischen Inszenierungen. „Tatsächlich verstehe ich „Stolen From Strangers“ als ein „Audio Road Movie“ oder Kaleidoskop, welches in bunten Farben meine Begegnungen mit Menschen, mit Freunden spiegelt.“

Jun Miyake: Stolen From Strangers (Yellowbird-Enja/ Soulfood)

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