Kazutoki Umezu – Der Abenteurer

(Text f. Sonic 11.07)

Zweifellos ist der Japaner Kazutoki Umezu einer der produktivsten und wichtigsten Bläser, nicht nur im fernen Osten, sondern weltweit. Er hat in über 30 Ländern Konzerte gegeben, trat bei Festivals wie Moers, Saalfelden, Vilnius, New York, Tokio und Singapore auf und spielte in seiner 35-jährigen Karriere mit so unterschiedlichen Kreativen wie Mal Waldron, Lester Bowie, David Murray, Rashid Ali, Peter Brötzmann, John Zorn, Tom Cora, Marc Ribot, B.B. King, Bernard Purdie, Ian Dury & Blockheads, Fanfare Ciocarlia, Yosuke Yamashita, Yoshihide Otomo, Masahiko Sato oder Ondekoza. Eine unglaubliche Liste, die zeigt, welchen Stellenwert Umezu als Bläser besitzt, welchen Respekt er unter Kollegen geniesst und letztlich auch seine Lust verdeutlicht, Grenzen aufzulösen, zu experimentieren und zu improvisieren.

Alles ist bei ihm in ständigem Fluss, nur der Sound seines Selmer Mark 7 Altsaxofons, seiner deutschen Keilwerth Klarinette ist konstant, klar, schön, stark, temperamentvoll und oft voller Humor.

Jazz geniesst im Land der aufgehenden Sonne eine beachtliche Reputation. Angeblich existieren heute sogar die meisten der die Blue Notes bevorzugenden Clubs in Tokio (über Siebzig) und nicht in dem als „Hauptstadt des Jazz“ gepriesenen New York. Treten beispielsweise im Blue Note Tokyo die internationalen Stars des Mainstream-Jazz auf, so erlebt der neugierige Jazzfan die interessanteren neueren Acts in Clubs wie Pit Inn oder Aketa. In letzterem tritt auch häufig der Bläser Umezu mit seinen Formationen Kiki Band und Komatcha Klezmer oder aber als Gastmusiker. Bei vielen Jazz-, Rock-, Ethno- und Pop-Produktionen taucht sein Name auf. Darüber hinaus veröffentlicht Umezu in Japan sehr fleissig CD’s.

Im Ausland kennt man ihn eher unter dem akademischen Titel „Doctor“ Umezu. Das ist aber lediglich ein Spitzname, der er sich dank seiner flinken Massagefinger erwarb. Muss er doch, meist vor und nach den Konzerten, die manchmal verkrampfte Muskulatur seiner Mitmusiker geschmeidig kneten. In Deutschland und Europa ist Dr. Umezu seit 1980 ein Begriff, damals trat er erstmalig bei Donaueschinger Modern Music Festval auf. Seitdem kommt er immer mal wieder, so spielte er mehrfach beim Moers-Festival.

Mit den diversen Bands, die Umezu im Verlauf seiner bisherigen Karriere geführt hat, änderte Umezu deren musikalischen Ausdruck ständig. Vom Free und Big Band Jazz bis zum Klezmer-Fake seines Ensembles Komatcha Klezmer und der Highspeed-Fusion der Kiki Band liegen fast drei Jahrzehnte. Ein Bandbreite, die typisch für den 1949 geborenen Kazutoki Umezu ist und kaum verwundert, wenn man mehr über dessen Background weiß. Nach dem Studium an der angesehenen Kunitachi Hochschule für Musik ging er für einige Jahre nach New York. Bekam dort Anschluß zur Loft Szene, jammte mit Oliver Lake, William Parker, Olu Dara und vielen anderen „Wilden“ der Siebziger. Feste Jobs hatte Umezu im Sunny Murray Trio und dem Ted Daniel’s Third World Energy Ensemble. Zurück in Japan gründete er das 13-köpfige Seikatsu Kojo Iinkai Orchestra, was soviel wie „Ausschuß zur Besserung des Lebens“ bedeutet. „In New York hörte ich viel Sun Ra und Earth, Wind & Fire“, erzählt Umezu, „Meine Band sollte ähnlich sein, mit vielen Bläsern, zwei Schlagzeugern und zwei Bassisten. Wir spielten oft live und machten dabei viele unterschiedliche Ding, nicht nur Musik, wir integrierten auch komödiantische und dramatische Schauspielelemente. Es war so eine Art Persiflage auf das Noh-Theater. Damit waren wir in Japan verblüffender Weise so erfolgreich, dass wir sogar eine eigenen TV-Show erhielten.“

Trotz aller Erfolge ging die Band nach zwei Alben auseinander. Mit der Rhythmusgruppe und dem Tenorsaxofonisten rief Umezu anschließend D.U.B. ins Leben. „Wir waren insgesamt sieben Jahre zusammen. Es war phantastisch. Jeder war Leader – für mich wie bei den Beatles. Hajakawa und ich komponierten, aber Kikuchi und Katayama änderten immer wieder fast alles. Schrieb ich ein Stück im 4/4-Beat, wurde es dann im 4/8 gespielt. Letztlich war unsere Musik sehr auf Improvisation begründet.“ Die kam seinerzeit auch bei den Besuchern des New Jazz Festival Moers an. Ein dort mitgeschnittenes Album zeugt von der Spielfreude und dem Abwechslungsreichtum der damaligen D.U.B. Musik. In späteren Jahren trat Umezu immer wieder mal dort auf, z.B. 1994 im Projekt Third Person mit dem Cellisten Tom Cora und Percussionist Samm Bennett. In dieser Besetzung spielten sie auch die sehr lyrisch gehaltene Begegnung östlicher und westlicher Kulturen „Trick Moon“ ein.

Aber die wohl spannendste und schönste Aufnahme an der die drei mitwirkten, Umezu auch als Produzent, ist das Album „Yunta & Jiraba“ des wohl bekanntesten Sängers der südjapanischen Okinawa-Volksmusik Tetsuhiro Daiku. Noch heute, über zehn Jahre später, berichtet Umezu mit leuchtenden Augen davon: „Er ist mein Lieblingssänger, denn er singt so natürlich, kein bisschen gekünstelt. Daiku gab mir den Auftrag sein Album zu produzieren, und das, obwohl er wusste, dass ich mich nicht besonders mit der speziellen Volksmusik Okinawas auskannte. Um mehr darüber zu erfahren und eine Auswahl für das Album zu treffen, gab Daiku mir alte Tonbänder mit über 100 Liedern. Ich hörte sie alle, konnte mich aber nicht entscheiden, sie waren fast alle so wunderschön. Aber ich wählte trotzdem spontan einige aus und Daiku suchte unabhängig davon ebenfalls Titel aus, die er gern für die Platte verwenden wollte. Als wir die Stücke verglichen, stellte wir fest, dass sie beinah identisch waren.“

Schon Erstaunlich. Okinawa ist seit dem Ende des zweiten Weltkrieg zwar ein Teil Japans, aber nicht wirklich, denn noch immer pflegen die Menschen dort ihre ganz eigene, andere Kultur und Sprache. „Darum wollte ich auch mit ihnen zusammen arbeiten wie ein Fremder, Konfrontation erzeugen und nicht die gewohnte, alte Musik spielen wie sie meist auf Okinawa zu hören ist. Daiku wollte ebenfalls von seinen gewohnten Pfaden loskommen und zumindest musikalisch etwas anderes probieren, ist sein Gesangsstil sonst doch traditionell festgelegt und daran will und kann er nichts ändern. Nachdem wir diese neue Basis hatten, bat ich Tom Cora und Samm Bennett Improvisationen zu spielen. Daiku war dann ganz begeistert über das Cellospiel und die elektronische Perkussion.“

Während seiner häufigen Reisen in Länder wie Korea, Vietnam, Thailand oder den Phillipinen beschäftigt sich Kazutoki Umezu intensiv mit dortiger Volksmusik und sucht Kontakte zu einheimischen Musikern. Zwar ist der Jazz seine Heimat, aber selbst vor so exotischen Klängen wie denen koreanischer Shamanen macht er nicht halt. Ist er doch gegenüber allen Arten von Musik aufgeschlossen. So gelingt es ihm auch immer wieder sein Saxofon- oder Klarinettenspiel in jeden Kontext überzeugend zu integrieren. „Als ich in Pusan mit den Shamanen spielte, sagten diese mir, dass mein Saxofonklang sich so anhört, als wäre ich einer von ihnen. Ich glaube das nicht, aber mich deren Musik zu nähern, war eine wunderbare Erfahrung. Auf Reisen ist das Saxofon für mich eine Art Überlebenspaket. Ohne könnte ich nicht existieren, es ist mein Anker. Wenn ich in asiatischen oder afrikanischen Ländern unterwegs bin, kenne ich die dortige Musik zuvor meist nicht. Aber wenn ich einen Bauern auf seinem Feld sehe und höre wie er während einer Arbeitspause Flöte spielt, dann ist es in diesem Moment die beste Musik der Welt für mich und ich möchte mitspielen.“ Ergebnis der Session mit den Shamanen ist die CD „Shin Myong“. Parallel dazu nahm Umezu mit den zwei koreanischen Jazzmusikern Kim Dae Hwan und Kang Eun-Il sowie dem Pianisten Yosuke Yamashita die Coltrane-Hommage „Black Roots“ auf.

Da Umezu die Abwechslung liebt, entschloss er sich schon während der Aufnahmen in Korea als Kontrast nun mit jungen New Yorker Musikern ein Album zu produzieren. Auf Vermittlung von Samm Bennett traf er dann 1993 erstmalig mit dem damals aufstrebenden Gitarristen Marc Ribot, Posaunist Curtis Fowlkes, Schlagzeuger Dougie Bowne und Bassist Brad Jones zusammen. Erst war Umezu skeptisch, ob sie musikalisch harmonieren. „Damals merkte ich aber schnell, dass sie für mich die beste Band der Welt sind“, erinnert sich Umezu an dieses erste Treffen. Eines der Highlights ihrer Platte „Eclecticism“ ist das Stück „Western Picaro“, einer jazzigen Ennio Morricone-Parodie, die Umezu für seinen Freund den Illustrator und großen Western-Fan Picaro Taro komponierte (Taro’s Tokioter Wohnung sieht aus wie die Kopie der Inneneinrichtung einer Ranch, d. Autor).

Zehn Jahre zuvor traf Umezu auf den amerikanischen Pianisten Mal Waldron.
„Er war einer meiner Träume, denn er spielte früher mit meinem großen Idol Eric Dolphy. Ich dachte damals, ich würde mich vielleicht wie Dolphy fühlen, wenn ich mit Mal spiele. Ich hatte alle seine Platten und hörte immer den Anschlag seiner rechten Hand, ähnlich dem von Thelonious Monk. Als wir dann gemeinsame Aufnahmen machten, sah ich auch sein linke Hand, von der er nur drei Finger benutzte. Aber es klang wundervoll, unglaublich dicht und intensiv. Waldron war der erste, bei dem ich dieses wohlige Gefühl im Bauch bekam. Leider konnten wir seinerzeit keine Improvisationen aufnehmen, die Plattenfirma wollte nur Standards wie „Round Midnight“ von uns. Mal’s Tod 2002 hat mich wirklich sehr getroffen.“

An weitaus älterer Musik, nämlich Klezmer, (diese „jiddische“ Musik hat ihre Ursprünge bereits im 15. Jahrhundert) verlor Umezu sein Herz, als er, auf Empfehlung von John Zorn, – der Umezu so beschreibt: „Wie kann man derart viel tun und dabei immer so positiv bleiben?“ – mit der japanischen Avantgardeband Hikasu zusammentraf. Die ähnliche Wellenlänge veranlasste sie zu gemeinsamen Auftritten mit Zorn. Dabei entstanden erste Klezmer-Inspirationen. Heute vergeht kaum ein Konzert, indem Umezu nicht zur Klarinette greift und seine vergnüglichen Interpretationen oder Eigenschöpfungen anstimmt. Was erneut beweist, dass Japaner kaum Berührungsängste kennen und interessiert alles Unbekannte fasziniert aufnehmen. Aber nicht die Imitation ist ihr Ziel, sondern die individuelle Umsetzung. Also gründete Umezu erst Betsuni Nanmo Klezmer, Japans erste Klezmerband, später noch Komatcha Klezmer, mit denen er die fernöstliche Variante pflegt. Dabei fand er heraus, dass alte japanische Filmmusik interessanterweise oft wie bulgarische oder jüdische Musik klingt. Er erklärt das mit einem ähnlichen Rhythmus.

Immer wieder etwas anderes ausprobieren und nicht stehen bleiben, ist Umezu‘ Devise. So wie er in Japan Vorreiter in puncto Klezmer ist, war er auch Inititator er ersten, bis auf ihn, rein weiblich besetzten Jazzgruppe Diva. „Ich hatte mir niemals bewußt vorgenommen eine Frauenband zu formieren. Ich weiß nicht warum, aber japanische Schlagzeugerinnen haben einen anderen Rhythmus, der fasziniert mich. Zwar wollen die meisten wie schwarze amerikanische Drummer klingen, aber dann spielen sie doch immer eine ziemlich schrägen Offbeat. Das finde ich sehr japanisch. Viele meiner männlichen Kollegen meinten damals, dass ich zwischen lauter Frauen ein glücklicher Mensch sein müsste. Aber dem war nicht so, es war schrecklich und nach einem Jahr hassten sie sich so, dass die Band auseinanderbrach.“ Mit der aktuellen Kiki Band, ein reiner Männerverein, spielt Umezu nun schon seit 1999. Zunächst war sie lediglich für eine Tournee durch Afrika geplant, aber vielleicht ist ihr extrem energetischer Sound für den 58-jährigen Bläser so etwas wie ein Jungbrunnen.

In leicht veränderter Besetzung – hinter dem Schlagzeug sitzt inzwischen der enorm kraftvolle US-Drummer Joe Trump (Carlos Alomar, Elliott Sharp) – liefern die vier Kiki-Musiker auf dem neuen, ihrem sechsten Album „Demagogue“ eine starke Melange aus Eastern Music, Artrock und Jazzharmonien. Und das war es dann schon mit der Kategorisierung. Denn die Kiki Band ist letztlich nicht einzuordnen, in Schubladen zu packen. Sie spielen einen absolut cleveren Mix, eine neue Form von Jazz-Fusion, die Elemente des progressiven Rock genauso wie ungewöhnliche Beats, wilde Breaks oder randständige ethnische Melodien integriert. Doch bei aller Vielfalt bleibt es immer hochexplosiver Jazz!

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