Toshinori Kondo – Avantgarde und Wohlklang

(Text f. Jazzthetik 4.08)

Längere Zeit war es relativ ruhig um den japanischen Trompeter, auf dem Plattenmarkt machte er sich rar. Lediglich sein wenig beachtetes Album „Fukyo“, veröffentlicht auf John Zorn’s Label Tzadik, kam in den letzten Jahren ausserhalb Japans in die Läden. Nun verschafft sich Kondo mit „Silent Melodies“ endlich mal wieder, trotz des schlichten Titels, mit einer ausdrucksstarken Musik, deutlicher Gehör in unseren Breiten.

Ein kurzer Überblick auf seine Karriere: Der 1948 in der Prefäktur Ehime geborene Toshinori Kondo tauchte, nach dem Abschluß eines Literaturstudiums, Mitte der 70er als Trompeter in der freien Musikszene Tokios auf. Er arbeitete mit japanischen Tanztheatern, komponierte Soundtracks für Film und Fernsehen, schrieb Bücher, moderierte eine wöchentliche Show im Nippon-TV, leitetet viele Jahre die Metal-Jazz-Band IMA, kuratierte 2002 ein Friedensfestival für den Dalai Lama und wirkte als Schauspieler mit in dem Film „Tenamon Connection“ und der vom Regisseur Thomas Stiller über ihn gedrehten Dokumentation „The Great Grandson Of The Man Who Drank A Cow“ (auch als DVD erhältlich). Trotz all dieser vielen unterschiedlichen Aktivitäten spielt Musik aber weiterhin die Hauptrolle in Kondos Leben. Dabei kooperierte er beispielsweise während seiner New Yorker Jahre mit Bill Laswell, Fred Frith, Herbie Hancock, John Zorn, Eugene Chadbourne, später auch mit Tristan Honsinger, Misha Mengelberg, Paul Lovens, Ryuichi Sakamoto, Hamid Drake oder der United Future Organization. Aber auch zur deutschen freien Improvisations-Szene hat Kondo eine besondere Beziehung: „Ja, vor ungefähr 28 Jahren spielte ich das erstemal mit Peter Brötzmann in Wuppertal, dabei nahmen wir auch die Platte „Alarm“ auf. Seitdem kam ich fast jedes Jahr wieder, um mein Horn in seiner März Combo oder der Band Die Like A Dog zu blasen. In diese langen Zeit ist er mir wie ein älterer Bruder ans Herz gewachsen. Auch wenn wir musikalisch andere Wege gehen, sprechen wir doch eine Sprache und sind beide recht impulsiv.“

Schon zu Zeiten von IMA (International Music Activities) hasste der Trompeter jegliche Art von Kategorisierung, formte darum immer wieder neue Musik-Konzepte, probierte sich in vielen Richtungen aus. „Das wichtigste an Musik ist ihre Freiheit. Free Jazz, Rock, Electro, HipHop, egal, denn jede Musik sollte frei sein und jeder Mensch hat die Musik – wie ja schon Hendrix sagte. Mich interessieren beinah alle Musikstile, ich hab mit DJ Krush genauso gearbeitet wie mit Willem Breuker. Nur Leute mit beschissenen, schwachen Hirnen wollen immer alles einteilen, alles kontrollieren. Man soll die Musik fühlen und nicht darauf aus sein sie zu analysieren. Ich liebe es zu wechseln. Mancher hält es mit einem Menschen aus, ich kann das nicht, ich brauche Veränderung.“ Dieses Bedürfnis befriedigt er auch mit zwei kulturell ganz unterschiedlichen Wohnorten: Amsterdam und Tokio. Mehrmals im Jahr pendelt er aber nicht nur zwischen Japan und Europa. Irgendwann besorgte sich Kondo einen kleinen Gitarrenverstärker, jagte das Signal aus seiner Trompete durch diverse Echoschleifen und schuf ganz allein eine Musik voller Spannung, die jederzeit in eine andere Richtung ausschlagen konnte. So gerüstet, begann er, auch andere, überwiegend abenteuerliche, Gegenden der Erde zu bereisen. Seit 1993 spielt er sein Solo-Konzept „Blow The Earth“ an exotischen Orten wie den peruanischen Anden, dem Himalaya, der israelischen Negev, Alaska und Bali. Allein mit seiner Trompete und kleinem elektronischen Equipment steht er dann in der Natur und bläst seine langgestreckten Töne in die Landschaft. Auf die beispielsweise von Bergen zurückgeworfenen Echos seines Spiels reagiert der Trompeter dann und kreiert so mit der Natur eine Interaktionsmusik. Dokumentiert wurden diese Performances auf dem Album „Israel“.

Kondo gehört international, auch wenn er nicht mehr auf Schlagzeilen aus ist wie in früheren Jahren, zu den international anerkanntesten Musikern Japans, vergleichbar mit Ryuichi Sakamoto oder Yosuke Yamashita. „Ich mache mir keine Gedanken über andere Musiker meines Landes“, sagt Kondo mit einer etwas lauteren Stimme, „Ich verfolge meinen eigenen Traum den ich realisieren möchte. Aber ich bin immer noch auf dem Weg dahin und jede neue Aufnahme verdeutlicht einen Schritt in die für mich richtige Richtung.“ Mit dem in Kawasaki und Amsterdam aufgenommenen atmosphärischen Werk „Silent Melodies“, veröffentlicht auf dem kleinen belgischen Avant Jazz und Electro-Label Off/ Still, setzt er seine Reihe solistischer CD’s fort, die er einst mit einem Album für den japanischen Formel 1 Klub eröffnete. Dort nahm er einen elektronischen Ambient-Jazz vorweg, der Jahre später vom Kollegen Molvaer erfolgreich in Szene gesetzt wurde. Absolut ohne jede Overdubs spielt Kondo auf seinem neuen Album Melodiebögen und Tonfolgen, die sich in den Tiefen des Sounds verlieren, wieder zurück an die Oberfläche kommen, schillernder als zuvor. Dabei nutzt er die Klangfarben seines Instruments vollkommen, erzeugt mit Halleffekten, Reverbs und Verzerrer zuvor ungehörte Klanglandschaften. Die haben kaum noch etwas mit dem allgemeinen Verständnis von Jazz zu tun, beziehen sich eher auf eine Richtung, die Brian Eno mit dem experimentellen Miles Davis der frühen Siebziger und dem Dubminimalismus von Bill Laswell vereint. Die zwölf Stücke, sie haben Titel wie „Clear Water“, „Wind Temptation“ oder „Mountain Shadow“, beziehen sich auf Zustände in der Natur, wollen diese hörbar machen. Das gelingt ihm – ungemein gefühlvoll – mit wunderbar vibrierenden, langsam gespielten, kühl luftigen Klängen – die sind präzise, kommen ohne jegliche esoterische Schnörkel aus. Mal dekonstruiert Kondo hier eine Melodie fast bis zur Unkenntlichkeit, mal spielt er scheinbar willkürlichste Akkordfolgen. „Ich möchte zeigen, wie die elektrische Trompete in der Musik des 21. Jahrhundert klingt. Um diesen Sound zu schaffen, habe ich viel Zeit, Energie und Anstrengung investiert. Seit dem Ende von IMA und meinem Neuanfang in Amsterdam konzentriere ich mich also auf die Suche nach neuen Inspirationen, Imaginationen und Technologien. Mit „Silent Melodies“ ist es mir, glaube ich, gelungen, frische Elemente elektrischer Trompetenmusik zu zeigen.“ Um dieses Ergebnis zu erzielen, ist er weniger von gut dotierten Plattenverträgen abhängig, wird er doch seit Jahren auch von einem Sponsor unterstützt. Vielleicht hat er darum zu Geld ein recht lockeres Verhältnis: „Geld ist unser Freund, unser Feind – beides. Wir sollten es nicht zu Ernst nehmen. Wenn du es brauchst, um deine Träume zu realisieren. musst du dir Geld beschaffen. Aber Geld ist nicht das Ziel, wir dürfen nicht sein Sklave werden. Das wäre das beschissen schlimmste Leben was ich mir vorstellen kann. Geld ist frei (lacht lauthals) und Musik ist frei.“

„Musik zum fühlen“ ist vielleicht eine gute Beschreibung für Toshinori Kondo’s künstlerischen Weg. Scheinbar das richtige Stichwort für ihn, denn schon platzt es aus ihm heraus: „Genau, und nicht „Musik zum analysieren“. Einmal in Fahrt, setzt er seinen Vernichtungsfeldzug fort: „Überall sind die Menschen dumm. Sie lieben es Fehler zu machen, kämpfen ist für sie wie essen. Nie hören sie auf zu essen, zu kämpfen – sie hoffen und sind gleichzeitig hoffnungslos.“ Diese Aussage passt eher zu dem Mann der in den Achtzigern mit IMA funky Industriekrach in den Jazz brachte (eine seiner Platten nannte er „Metal Position“), damit zur Sperrspitze brachialer Klangerzeuger gehörte, und nicht zu dem heutigen Kondo, der auf die Stille, den sphärisch entspannten Klang setzt. Mit „Silent Melodies“ bringt sich Toshinori Kondo eindrucksvoll in Erinnerung. So klingt Musik, die im Reinen mit sich ist, nichts beweisen will, einfach nur Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen möchte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert