Mit „Back In New York“, seinem vierten Album, formuliert der deutsche Pianist globalen Jazz auf höchstem Niveau: Young German Jazz trifft auf internationale Latin Jazz Avantgarde.
Schon erstaunlich dieser Weg: Aus der norddeutschen Provinz zum international anerkannten Pianisten des Latin Jazz und einer aktuellen Kooperation mit dem wohl renommiertesten Latin Jazz-Bläser Paquito D’Rivera.
Als 12-Jähriger lernte Sebastian Schunke in seiner hannoverschen Heimat die Musik Eddie Palmieris kennen. Da war dann bald Schluß mit klassischer Musik, in der er bis dahin von seinen Klavierlehrern unterrichtet wurde. Ein erstes Engagement bei der Latin-Bigband Havana vertiefte die Leidenschaft und schließlich stand mit 23 Jahren ein Umzug nach New York an. Dort studierte er an der Manhattan School of Music bei Hilton Ruiz, Sonny Bravo und Garry Dial. Nun war Schunke endgültig vom Latin-Virus infiziert. Vier Jahre später, im Winter 2000, nahm der Pianist in New York mit u.a. Steve Colemans Drummer Dafnis Prieto das hochgelobte Debütalbum „Symbiosis“ auf, gefolgt 2004 von „Mouvement“ und drei Jahre später „Vida Pura“, mit der kubanischen Sängerin Olvido Ruiz. Auf diesen drei Platten entwickelte er sich auch als Komponist und Arrangeur, erarbeitete jeweils völlig neue Soundkonzepte, experimentierte mit Streichern, Bläsern und Gesang. Dabei lotete Schunke ein Spektrum verschiedenster Latin-Charakteristiken aus, um diese mit seiner musikalischen Vergangenheit, der klassischen Musik, in einen spannenden Dialog zu bringen. Den führte er mit seinen immer exzellent besetzten Bands erstaunlich energetisch, schuf so einen frischen Latin Jazz, der so noch nicht von einem deutschen oder europäischen Musiker zu hören war. Bei Sebastian Schunke und seiner Band liegt man mit diesen Eingrenzungen sowieso daneben, sie klingen einfach international. Wohl auch der Grund, warum die Formation seit Jahren immer wieder zu Tourneen in Länder wie Kolumbien, Benin, China, Istanbul, Laos oder Malta eingeladen wird – es geht um die Musik und nicht um die Herkunft. Somit bestätigt sich wieder einmal die Floskel, dass die Sprache der Musik international ist.
Olaf Maikopf: Du lebst ja inzwischen in Berlin, hast das neue Album aber in deiner alten Wahlheimat New York aufgenommen.
Sebastian Schunke: Ein Traum ist in Erfüllung gegangen, dass ich mit Paquito d‘ Rivera aufnehmen konnte. Paquito hat mehrmals den Latin Jazz neu geprägt, ist mit seiner Musik immer über Grenzen hinweggegangen – sei es mit Irakere, dem United Nation Orchestra, Michel Camilo, seinem Quintett oder den Projekten im Grenzbereich von klassischer Musik und Jazz. Da auch ich mit meiner Musik seit Jahren probiere diesen Weg zu gehen, den Latin Jazz neu zu begreifen, aus seinen festen Strukturen zu lösen und ihm einen neuen Ausdruck zu verleihen, war die mögliche Zusammenarbeit mit Paquito sehr spannend für mich, zu sehen, wie diese Legende des Latin Jazz meinen Stil aufnehmen und interpretieren würde. Da Paquito in New York lebt, war es naheliegend, in New York zu produzieren – aber dadurch wurde mir aus künstlerischer Sicht auch die Möglichkeit eröffnet, mit meiner Traumrhythmusgruppe aufzunehmen. Einer Rhythmusgruppe von der ich wusste, sie passt genau zu dem was ich wollte. Antonio Sanchez und John Benitez kenne ich sehr lange. Beide waren ja schon vor knapp 10 Jahren bei den Aufnahmen zu meiner ersten CD dabei. John zählt zu meinen absoluten favorisierten Bassisten. Er war es auch, der mich damals ermutigte meinen eigenen Weg musikalisch zu gehen – wir sind sehr gut befreundet, die perfekte Symbiose für eine gute Zusammenarbeit. Das gleiche gilt für Antonio Sanchez. An Antonio mag ich den jazzigen Approach zu den Latin Rhythmen, sein feines, freies aber nuanciertes Spiel – und er ist ein sehr angenehmer Typ. Pernell Saturnino kannte ich nicht persönlich. Paquito hatte ihn vorgeschlagen und ich war begeistert, zumal ich sein tolles Spiel von den Aufnahmen mit David Sanchez kannte. Alle leben in New York und so ergab es sich fast zwangsweise, die Aufnahmen in New York zu machen. Es war daneben auch ein tolles Gefühl nach fast drei Jahren wieder in die Stadt zurückzukehren, mit neuer Musik im Gepäck und als, so hoffe ich doch, gereifter Musiker – das war wirklich spannend.
Olaf Maikopf: Auch nicht gerade selbstverständlich für einen deutschen Pianisten, dass er mit Topleuten wie d’Rivera oder Sanchez arbeiten kann. Was war deine Eintrittskarte, überzeugende Kompositionen, dein Spiel, was reizte sie an der Arbeit mit dir?
Sebastian Schunke: Ehrlich gesagt mit Paquito hätte ich mir nie erträumt eine komplette CD, meine eigenen Songs aufnehmen zu dürfen. Ich hätte mich auch nicht getraut, Paquito einfach anzurufen und zu fragen, unabhängig von finanziellen Erwägungen. In diesem Punkt bin ich meinem Verleger, Detlef Engelhard, der zugleich auch der Chef meines Plattenlabels ist, sehr dankbar. Detlef kennt Paquito sehr gut. Paquito hat schon oft für Detlef aufgenommen. Im letzten Jahr hatten Detlef und ich über meine musikalischen Pläne gesprochen und ich erwähnte dabei, nicht ganz ohne Hintergedanken, dass ich es toll fände, wenn ich irgendwann einmal die Chance hätte, meine Stücke mit Paquito aufnehmen zu dürfen….Detlef schickte daraufhin aus Eigeninitiative Paquito meine letzten CDs – und mir dann drei Wochen später, Paquitos Antwort weitergeleitet, in dem dieser sagte „this guy sebastian schunke, is a very well pianist and composer, he is very good! I would like to work with him.“ Wow, das konnte ich wirklich nicht fassen! Es lag dann an mir, die Band zusammenzustellen, das Konzept zu überlegen und Stücke zu schreiben. Da ist es für mich ganz wichtig zu wissen, wo ich hin will, und welche Musiker mir bei der Verwirklichung meiner Ideen optimal helfen können. Um die Frage also kurz zu beantworten, es ist, glaube ich, mein Kompositionsstil, mein Ansatz in der Musik, der sie veranlasste an dieser Aufnahmen teilzunehmen.
Olaf Maikopf: Wie war die Zusammenarbeit?
Sebastian Schunke: Genial! Wirklich, sowohl auf der persönlichen, als auch auf der professionellen Ebene – diese zwei Tage Probe und Aufnahme waren so intensiv, so lustig und ernst und vor allem so verlässlich gut – ein wahrer Luxus. Ein Vorteil war natürlich, dass Anders Nilsson und John Benitez wirklich sehr gute Freunde von mir sind und ich Antonio Sanchez auch schon seit Jahren kenne und ich nur Pernell Saturnino und Paquito nicht persönlich kannte. Die Probenatmosphäre war super entspannt, wie auch im Studio, wir hatten viel Spaß ohne die Ernsthaftigkeit der Sache zu vernachlässigen. Das sind alles Musiker ohne jegliche Attitude – sehr erfrischend.
Olaf Maikopf: Sind die Stücke so geworden, wie du dir vielleicht zuvor in der Phantasie vorgestellt hattest?
Sebastian Schunke: Ehrlich gesagt, hat Paquito´s Spiel meine Erwartungen noch übertroffen – allein bei dem Stück „Oma Mutti“ kommt er aus dem Erzählen gar nicht mehr heraus, spielt die spannendsten Geschichten. Das meine ich ernst. Paquito bewegt sich so frei auf seinem Instrument und da es ihm sichtlich Spaß gemacht hat, meine Kompositionen zu spielen, ist das Ergebnis fantastisch und ich bin sehr glücklich. Es war zuvor schwierig für mich, mir genau vorzustellen, wie das Endprodukt klingen wird – das hängt viel davon ab, wie die Atmosphäre des Aufnahmetages ist, wie die Musiker die Stücke begreifen, sie interpretieren – ich will auch offen in eine Aufnahmesession gehen, offen für Veränderung, um reagieren zu können. Aber ich hatte eine Ahnung von dem wo es hingehen wird, hatte den roten Pfaden klar vor Augen. Trotzdem war ich natürlich total aufgeregt vor der ersten Begegnung mit Paquito. Er ist natürlich einer der größten Latin Jazz Musiker und eine wahnsinnige Musikerpersönlichkeit und so wusste ich, dass er meiner Musik etwas ganz besonderes geben wird – und das tat er. Aufgrund seiner unkomplizierten Art, seiner positiven Ausstrahlung, ist es ihm zu verdanken, dass sich meine Aufregung gelegt hat und ich mich voll auf die Musik konzentrieren konnte – das hat meinen Respekt vor dem Menschen und Musiker Paquito noch mehr steigen lassen. Es lief dann alles frei und unbeschwert. Ich glaube, das hört man der Aufnahme an, den Spaß, die gute Symbiose und die gute Chemie zwischen den Musikern.
Olaf Maikopf: Warum spielt er auf dem Album ausschließlich Klarinette und nicht auch mal sein Sax?
Sebastian Schunke: Das war mein ausdrücklicher Wunsch. Ich liebe seinen Klarinettenklang und dieser Sound, seine Art die Klarinette zu spielen, ist einfach mehr als Perfekt für meine Musik. Paquito hat genau den Ton getroffen, wie ich es erhofft, es mir gewünscht hatte.
Olaf Maikopf: Der E-Gitarrist Anders Nilsson bringt Elemente in die Musik, die recht heavy sind und einen wilden Kontrast zur schönen Klarinette bilden.
Sebastian Schunke: Anders hat nach mir in meiner alten New Yorker WG gelebt und inzwischen sind wir die besten Kumpels. Ich wusste, dass er musikalisch aus einer ganz anderen Ecke kommt, aber er ist „the edge“, der Dreck, den ich brauchte. Und seinen unbekümmerten Zugang zu Latin, einfach nur die Musik zu sehen, war erfrischend für den Bandsound. Somit war es für mich klar, dass ich Anders bei einigen tunes dabei haben wollte.
Olaf Maikopf: Ist „Back In New York“ auch ein Fingerzeig, dass du wieder dort leben willst, weil deine Musik dort einen natürlicheren Background hat, und sie dadurch eher akzeptiert wird?
Sebastian Schunke: Nein, gerade während der Aufnahmen, bin ich etwas längere Zeit in New York geblieben und da habe ich gemerkt, dass ich in New York nicht mehr leben möchte und ich mich in Berlin sehr wohl fühle. Trotzdem, ist die Energie in dieser Stadt was ganz besonderes, wie auch die Einstellung vieler dort lebender Musiker – einfach super! Der Titel ist eher ein Hinweis darauf, dass ich das Gefühl habe, als gewachsener Musiker zurückgekommen zu sein, in die Stätte, in der ich soviel gelernt habe – das war ein tolles Gefühl, zumal ich so offen und warmherzig empfangen wurde. Aber meine Musik wie auch meine Person hat genauso ihre Wurzeln hier in Europa. Zumal sich in Berlin eine tolle Szene gebildet hat, die mich unglaublich inspiriert. Was stimmt ist, dass es wesentlich einfacher wäre für mich, in New York mit meiner Musik international weiter durchzustarten. Schon jetzt ist die Akzeptanz in der amerikanischen Presse und Rundfunk, wie auch bei Veranstaltern und bei den Musikern sehr groß, während ich in Deutschland zumindest bei einigen Veranstaltern den Eindruck habe, ich muss mich rechtfertigen für den Weg, den ich gehe. Dies wäre sicherlich nicht so, wenn ich mit derselben Musik aus New York bei den Festivals in Deutschland anklopfen würde. Aber das ändert sich jetzt ja hoffentlich.
Sebastian Schunke: Back In New York (Connector-Termidor/ In-Akustik)
